Das moralische Gedächtnis

pressebild_lichtdiogenes-verlag_300dpi1“ … Das, was in unserem Gehirn geschieht, ist etwas Elektrisches. Die Wissenschaft kann sehen, was mit einem vorgeht, wenn man anfängt, wie ein Geschäftsmann zu denken. Die Gedanken machen einen Bogen um einen bestimmten Teil des Gehirns sie nutzen ihn nicht mehr, mustern ihn aus, lassen ihn verrosten, und dieser Teil ist der Regler. Der Regler für die moralische Integrität wird abgeklemmt – das moralische Gedächtnis… „

50 Jahre ist es her, dass Thomas Alva Edison eine Glühbirne entwickelte, die einem Großteil der Menschen Licht ins Dunkel brachte. Deshalb wird ihm zu Ehren gefeiert. Sogar eine Parade soll es geben. Zumute ist ihm danach allerdings nicht. Er ist alt und fühlt sich nicht imstande, einer großen Menschenmenge entgegenzutreten, die ihn – so seine Meinung – eigentlich verteufeln sollte. Hat er doch durch seine Forschung und Erfindungen nicht nur Gutes getan, sondern auch den Tod gebracht. So ist es mit allen Forschungen, mit der Wissenschaft im Allgemeinen. Der Wissenschaftler ist meist einfach ein neugieriger Mensch, der der Menschheit Fortschritt und positive Entwicklung angedeihen lassen will, doch was Dritte aus seinen Ergebnissen machen, das kann er kaum beeinflussen, noch verhindern. So ist das Erfinden ein zweischneidiges Schwert. Und wenn sich das Kapital einmischt, ist es gänzlich aus mit dem Grundsatz: allein zum Wohle der Menschheit.

Edison ist das bewusst und so flüchtet er, zumindest für kurze Zeit. Er flüchtet vor der Parade, vor den Rufen der Menschen, von denen er nicht glaubt, dass sie ihm wohl gesonnen sind und in eine andere Zeit. Nur ein paar Minuten gönnt Anthony McCarten dem Erfinder, einige der für ihn wichtigen Lebensstationen näher zu beleuchten – und die sind meist nicht nur durch überbordendes Glück gezeichnet.

Der Skepsis seinem Leben und Tun gegenüber steht eine Person in Opposition, die aus Edison dem Erfinder einen Geschäftsmann machte: J. P. Morgan – Milliardär, Bankier, Verfechter der Wirtschaftlichkeit, Feind des Wettbewerbs, der schon im ausgehenden 19. Jahrhundert die Konzernherrschaft voraussieht. Allerdings malt er sie in den strahlendsten Farben und glaubt fest daran, dass ihr Entstehen für die positive Weiterentwicklung der Gesellschaft vonnöten sei. Und das global.

„… seit bald zehn Jahren, da sehe ich das Bild einer einfacheren Gesellschaft vor mir. Einer, in der Bankiers eine größere Rolle spielen. Ein System, in dem es keine gierigen Kleinfirmen mehr gibt, die alle miteinander im Krieg liegen und bei denen jeder immer nur das nachmacht, was der Rivale anbietet, und die sich alle durch den Wettbewerb ruinieren. Unwirtschaftlichkeit. Das ist heute unser großer Feind. Ein Markt der niemandem etwas einbringt, bedingt durch den Wildwuchs des Wettbewerbs. Keiner hat etwas von diesem Wettbewerb. Am wenigsten die Armen, die Arbeiter, die Männer und Frauen, die schuften und leiden. Deshalb schlage ich … Kombinate vor. Für alles nur eine einzige große Firma. Ein neues Modell geführt von Männern, die sich auskennen, von Ehrenmännern, die etwas vom Geld verstehen, Männern denen es gelingt, die Gier der Menschen einzudämmen. […] Bankhäuser, wirtschaftliche Großbetriebe können das ändern. Keine Regierung, die sich in alles einmischt. […] Gewaltige Großfirmen, über die Staatsgrenzen hinaus –  damit befreien wir die Menschheit und erfüllen die gebrochenen Versprechen unserer Gründerväter.“ …“

Wow, was für eine Vorstellung! Bankiers, die die Gier zügeln, die den Armen zu mehr Lebensqualität verhelfen? Für uns heute absurd. Aber Edison hatte nicht die Erfahrungen, konnte sie nicht haben, die wir besitzen. Er möchte immer nur eines: die Welt für alle besser machen – und scheitert nach eigenen Maßstäben grandios daran.

Und dann gibt es da auch noch seinen ewigen Widersacher: Nikola Tesla. Der Verfechter des Wechselstroms, der Edison zwar gefährlicher vorkommt, aber billiger zu produzieren ist. Zwei Genies, die gemeinsam noch Größeres hätten umsetzen können, als im Widerstreit. Morgan wird mit beiden arbeiten, immer auf der Suche nach dem besseren Profit und sich deshalb auch von Tesla abwenden, der die Vision hat, der Menschheit eine kostenlose immerwährende Energiequelle zur Verfügung zu stellen.

Inhalt und Form dessen, was Anthony McCarten anhand der retrospektiv von seinem Protagonisten schlaglichtartig beleuchtete Geschichte erzählt, sind gleichermaßen spannend und humanistisch. Dabei fühlt man sich sprachlich in die damalige Zeit versetzt, ohne dass es altmodisch wirkt – und hier ist einmal mehr eine wunderbare Übertragung in die deutsche Sprache zu erwähnen. Geschaffen wurde sie von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié.

Anthony McCarten schreibt nicht nur Romane, sondern ist vor allem auch für seine erfolgreichen Theaterstücke und Drehbücher bekannt. Unter anderem wurde er in der Kategorie Bestes Drehbuch für Die Entdeckung der Unendlichkeit für einen Oscar nominiert, und so erstaunt es nicht wirklich, dass sich während der Lektüre von Licht so etwas wie das Gefühl, einem Kammerspiel beizuwohnen, einstellt. Die Szenerie wechselt wie die Kulissen nach einem Umbau der Bühne im Theater. Das ist großartig und verleiht dem atemlosen Lesetempo, in das man nur zu leicht verfällt, eine gehörige Portion an Intensität und Nähe.

Meiner absoluten Leseempfehlung sei noch der Aufruf Edisons angefügt, dem ich mich beugen werde: Lies Faraday! Und über Tesla werde ich mich auch weitergehend informieren. Diese Art Literatur ist es, die mich zum Schwärmen bringt, weil sie mir neue Türen aufstößt, mich in Gebiete einführt, die ich aus eigenem Antrieb wohl kaum betreten hätte. Und wenn sie dabei noch klug konzipiert so wunderbar unterhält, dann hatte ich mal wieder wunderbares Leseglück. Schön, dass das bereits 2012 im Original erschienene Buch nun auch in einer wie immer liebevoll auf den Inhalt abgestimmten Aufmachung in deutscher Sprache erhältlich ist. Einzig der übersetzte Titel Licht greift mir nicht weit gut. Brilliance heißt der Roman im Original und vermag so viel mehr zu umfassen als das schlichte Wort Licht: die Leuchtkraft eines strahlenden Geistes und seiner wichtigsten Erfindung.

Buchdetails:

  • Aktuelle Ausgabe: 22. Februar 2017
  • Verlag: Diogenes Verlag
  • ISBN: 978-3-257-06994-5
  • Leinen, gebunden, mit Lesebändchen: 368 Seiten

 

 

 

12 Gedanken zu “Das moralische Gedächtnis

  1. Mein Bruder hatte dies Buch noch nicht und freute sich. Ups, jetzt gibt es noch einen weiteren Edison-Roman … und die Glühbirne ist schon wieder platt, wo sie uns doch versprechen, diese Stromsparer hielten länger …

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  2. Danke für den Hinweis und die Empfehlung sowie DJs Video-Clip. Dieses Buch passt auf den Gabentisch zum Geburtstag meines elektrischen Bruders. Und dann leihe ich es mir wieder aus …

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  3. Oh sorry Du hast völlig Recht, ans Spoilern mit Geschichte habe ich gar nicht gedacht, da ich vermutet habe, dass der Roman doch viel mehr fiktional ist. Selbstverständlich sollten wir uns dann darüber woanders austauschen 🙂 Soll ich den ganzen Thread löschen?

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  4. Liebe Alex, das steht auch bei McCarten so – allerdings sind Wikipedia Einträge ja auch nicht das Maß aller Dinge. McCarten hat den Rückzug Edisons ausführlich behandelt. Aber ehrlich gesagt, möchte ich hier nicht über den Inhalt reden, denn das ist spoilern und ich hasse nichts mehr als das 😉 Also sei mir nicht böse, dass ich auf die Diskussion hier nicht eingehen möchte. An anderer Stelle gerne. Aber wie gesagt, es ist ja ein Roman. Und es wird auch erwähnt, dass der Elektrische Stuhl durchaus dazu dienen sollte, um den Wechselstrom in Mißkredit zu bringen. Aber wie gesagt, hätte ich den Inhalt komplett wiedergeben wollen, hätte ich das getan …

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  5. oh danke für den Tipp, möchte ich unbedingt lesen 🙂 Habe den Autor mal auf einer TED Konferenz erlebt und habe ihn seitdem auf dem Radar. Liebe Grüße, Sabine

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  6. Sehr gerne – bin gespannt, wie es gefällt. Für mich war es das absolut rechte Buch, zur rechten Zeit. Also jetzt nicht richtungsmäßig gesehen 😉 LG

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