Schweres leicht aussehen lassen

978-3-498-05045-0„Er war Schriftsteller – alles, was er von dieser Welt wollte waren die Zutaten für eine andere, die mehr seinem Herzen entsprach.“

Als F. Scott Fitzgerald seinen dritten Anlauf in Hollywood wagt, ist er einer unter vielen. Er hat immense Schulden, muss für den Sanatoriumsaufenthalt seiner Frau Zelda und das Internat der gemeinsamen Tochter Scottie aufkommen. Vom einst gefeierten schillernden Autor der Roaring Twenties ist in der Öffentlichkeit nicht viel mehr übrig als die Geschichten über rauschhafte Eskapaden und öffentlich ausgetragene Szenen einer unglücklichen Ehe. Fitzgerald selbst sieht sich als Versager. Allerdings besitzt er trotz seiner weiterhin stattfindenden Rückfälle in einen grenzenlosen Alkoholismus etwas, das man wohl damals schon nicht mehr so häufig fand: Ehrgefühl, Verantwortungsbewusstsein seiner Frau und Tochter gegenüber und den unbedingten Willen durchzuhalten. Er diszipliniert sich so gut es nur geht. Der frühe Scott, der tagelang im Suff umherstreifte und das Geld mit vollen Händen ausgab, existiert nicht mehr.

„Am Tor wartete sein Pass auf ihn, ausgestellt auf jemanden namens Mr. Francis Fitzgerald.“ (S. 45)

Doch wer eigentlich ist Fitzgerald in seinen letzten Jahren? In den Jahren, die er ambitioniert versuchte, schlechte Drehbücher, die zwar dem Massengeschmack entsprechen mochten, in das zu verwandeln, was für ihn gute Geschichten, richtige Kunst ausmachte:

„So vulgär die bewegten Bilder auch waren, in den besten von ihnen zeigte sich, wie in der besten Literatur, unbestreitbar das Leben.“ (S. 31)

Harte Arbeit, die da auf ihn zukommt, denn als Hollywood-Drehbuchautor ist man vieles, aber eines nicht: unabhängig. Eigene Ausarbeitungen können über Nacht verworfen, das ganze Projekt plötzlich jemandem anderen übergeben werden. Am schwierigsten gestaltet sich die Arbeit, wenn grundlos ein anderer Autor hinzugezogen wird, der alles eigene komplett umschreibt – denn dann muss man selbst wiederum die Änderungen des anderen umschreiben, um die eigene Kunst wieder zur Geltung zu bringen.

Und das ist laut Stewart O’Nan, der Hemingway dies sagen lässt: “ … deine Stärke, etwas Schweres leicht aussehen zu lassen …“. Hier zeigt sich, dass O’Nan ein wahrer Kenner des Werks seines Romanhelden ist. Wer das bezweifelt, möge einfach Fitzgerald selbst lesen – gleichgültig welche seiner Erzählungen oder welchen Roman. Sie zeigen diese Stärke alle – auch wenn einige seiner Erzählungen ausschließlich geschrieben wurden, um damit Geld zu verdienen.

Und noch eine Stärke besitzt Fitzgerald: Er zeichnet seine Figuren glaubhaft. Den Stoff seiner Geschichten findet er im realen Leben. Die Menschen, die er beschreibt, besitzen Tiefe durch ihre lichten und ihre dunklen Seiten, die er meisterhaft freilegt, ohne die Personen zu verurteilen. Nichts Menschliches scheint ihm fremd zu sein, denn er hat alles schon erlebt oder gesehen.

„Es fiel ihm schwerer, sie zu verlassen, wenn sie sich gut benommen hatte – als würde er eine Unschuldige verurteilen -, und nachdem er Scottie in ihre Maschine verfrachtet hatte, setze er sich in die Flughafenbar und genehmigte sich einen doppelten Gin. Er konnte sich noch erinnern, dass er einen zweiten bestellte, und dann an nichts mehr bis Albuquerque. Er lag irgendwo ausgestreckt auf dem nassen Rasen, über ihm das Wasser eines Sprinklers. Sein Geld war weg, seine Jacke mit Blut bespritzt, und als er Sheilah anrief, erklärte sie, bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, so lasse sie nicht mit sich reden, und legte auf.“ (S.134)

Stewart O’Nan gelingt diese Glaubhaftigkeit der Figuren ebenso und das ist die Stärke dieses großartigen Romans. Er zeigt, was Scott umtreibt und das sehr deutlich. Jedoch versteigt er sich nicht darauf, die Vorkommnisse oder gar die Innenwelten seines Protagonisten zu kommentieren, zu deuten oder zu erklären.

Fitzgerald leidet in Hollywood unter einem Doppelleben. Nicht seine Sucht ist es, die ihn zu dieser Art Zerrissenheit zwingt, sondern eine unverhofft erwiderte Liebe. Die junge aufstrebende Klatschreporterin Sheila Graham ist es, der sein Herz zufliegt und die sich – trotz seines andauernden Alkoholmissbrauchs – ebenfalls verliebt. Das was Fitzgerald so viel Kraft kostet und ihn auszehrt ist nicht nur sein nicht mehr vorhandenen Ruhm, der Kampf um berufliche Anerkennung – denn was das Schreiben angeht ist er immer noch ein Profi – sondern seine ihn verpflichtende Verbindung zu Zelda. Die Urlaube mit ihr strengen ihn über die Maßen an. Zunächst befürchtet er, sie könne einen ihrer berühmten Aussetzer haben, dann muss er erkennen, dass sie medikamentös ruhig gestellt ist, was ihm absolut widerstrebt. Nichts erinnert mehr an die frühere, zwar nervenaufreibende, aber eben authentische Zelda. Es kommt ihm vor, als würde sie in Ketten gelegt und das hält er nicht aus. Um die Spannung abzubauen trinkt er. Ohne Rücksicht auf seine Gesundheit, die schon arg angeschlagen ist.

Sheila hasst es, wenn er trinkt und versucht, ihm ein Abstinenzgelübde abzuringen. Sie sieht das, was hinter der Trunksucht lauert: den Zwang sich selbst zu verletzen.

Stewart O’Nan gelingt es mühelos, Fitzgeralds letzte Jahre in Hollywood nachzuzeichnen. Mitunter so authentisch, dass man vergisst, dass man einen Roman in Händen hält. Das liegt nicht nur daran, dass O’Nan seinen Fitzgerald kennt – die Werke durchdrungen hat – sondern auch an seiner Haltung zu den Geschehnissen, zu Scotts Verhalten. Hier wird nichts beschönigt, aber auch nichts in den Dreck gezogen. Scott ist ein komplizierter Mensch, wie wir alle. Er hat sicher zahlreiche Dämonen, aber deshalb verurteilt ihn O’Nan nicht. Und dafür bin ich dankbar.

Ich bin eine große Verehrerin des fitzgeraldischen Werkes und hatte tatsächlich etwas Furcht davor, meinen größten literarischen Helden künstlerisch stürzen zu sehen. Doch Stewart O’Nan hat Fitzgerald so einfühlsam behandelt, wie dieser seine eigenen Romanfiguren, so dass diese Furcht gänzlich unbegründet war. Natürlich ist auch er nicht immer sympathisch, natürlich tut auch er unverzeihliche Dinge, aber die Beweggründe dafür werden deutlich. Der Fitzgerald, den O’Nan hier zeigt ist in seinem Verhalten eher altmodisch. Er versteht die Schnelllebigkeit nicht, die überall Einzug hält.

Der nicht eben üppig ausfallende finanzielle Erfolg des Gatsby, der vielen Literaten und Kritikern schon damals als richtungsweisend galt, nimmt ihn arg mit. Und dennoch will er dieses Mal durchhalten. Nicht nur wegen des Geldes. Auch literarisch hat er noch nicht abgeschlossen – immerhin ist erst knapp über 40 Jahre alt.

Zum Ende hin strafft O’Nan seinen Roman deutlich. Die Geschehnisse werden nicht mehr so detailliert erzählt wie zuvor. Dadurch entsteht ganz deutlich der Eindruck, Fitzgerald zerrinne die Zeit zwischen den Fingern, um seinen nächsten – und leider auch letzten und unvollendeten – Roman auszuarbeiten. Gleichzeitig zeigt O’Nan damit, wie schwer es für jeden Schriftsteller ist, tagtäglich um sein kreatives, künstlerisches Potential zu ringen und sich den von außen herangetragenen Anforderungen zu stellen.

Stewart O’Nan hat einmal in einem Interview gesagt, was ihn interessiere, sei der Punkt an dem Menschen aufgeben. In Westlich des Sunset ist dieser Punkt erst dann erreicht, als die lange Zeit stiefmütterlich behandelte Gesundheit Fitzgeralds nicht mehr wieder herzustellen ist. Das allseits bekannte Ende des für mich größten amerikanischen Schriftstellers (der damaligen Zeit) schildert O’Nan atmosphärisch so dicht, dass man trotz der Unausweichlichkeit der Geschehnisse überrascht, ja getroffen zurück bleibt.

Mit Westlich des Sunset habe ich nicht nur einen großartigen Roman lesen dürfen, sondern eine ganz besondere Begegnung erfahren, für die ich sehr dankbar bin.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 26. März 2016
  • Verlag : Rowohlt
  • ISBN:  978-3-498-05045-0
  • Gebunden: 416 Seiten

 

 

 

 

 

7 Gedanken zu “Schweres leicht aussehen lassen

  1. Danke Bri, für das liebe Angebot … aber ich habe hier gerade soviel Lesestoff vor mir – ich denke, den O`Nan besorge ich mir dann als Taschenbuch … jedenfalls ist er vermerkt! LG Birgit

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  2. Ja schon … aber ich bin heute schon rückfällig geworden und hab mir den stinkteuren Cervantes-Band der AB geleistet – jetzt ist erstmal wieder Schmalhans angesagt 🙂

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  3. Also da kann ich nur sagen: Buchkaufverbot gilt für dieses Buch einfach nicht. Das musst Du lesen und mir dann darüber berichten. Du als Fitzgerald – Fan, wie ich …

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  4. Da kann ich mich ja kaum Deiner Empfehlung entziehen. Obwohl ich nicht mit allen Romanen Stewart O`Nans warmgeworden bin, könnte das ja noch einmal einer sein, mit dem ich es versuchen könnte.
    Viele Grüße, Claudia

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