Ins Leben schwimmen

Schwimmen in der NachtSarah Kunitz, zu Beginn von Jessica Keeners Romans „Schwimmen in der Nacht“ eine Frau mit bereits erwachsenen Söhnen, erinnert sich zurück an ihre Kindheit und Jugend. Als einziges Mädchen wächst sie mit drei Brüdern in einem Bostoner Vorort auf. Der Vater Professor für englische Literatur, die jüdische Familie wohlhabend, sind die wechselnden Hausmädchen jeweils wichtige Ansprechpartner für die Kinder, gerade auch, weil das Verhältnis zu den Eltern ambivalent ist: Der strenge Vater neigt zu cholerischen Ausbrüchen, die Mutter zieht sich immer wieder von der Familie zurück und ist für die Kinder nicht durchgehend greifbar. Beide trinken zu viel. Das Hausmädchen Dora arbeitet lange bei der Familie und kümmert sich um Sarah. Der ist das bewusst und sie verlässt sich darauf, obwohl sie Dora trotzdem schroff behandelt.

Die Familie folgt im Zusammenleben ihrer eigenen Dynamik, die sich eingespielt hat und funktioniert. Sie droht zu zerbrechen, als die depressive Mutter ums Leben kommt. Das Geschehene wird als Unfall deklariert, die Erwachsenen sprechen mit den Kindern nicht über die genauen Hintergründe.

Jessica Keener, die laut Klappentext 18 Jahre lang an „Schwimmen in der Nacht“ gearbeitet hat, zeigt eindringlich auf, wie die Familie, vor allem Sarah, deren einzige weibliche Bezugsperson in der Familie von nun an das Hausmädchen ist, mit dem Verlust, der für alle eine Katastrophe darstellt, umgeht und am Ende irgendwie damit fertig wird. Eindringlich beschreibt sie, wie es Sarah in der Schule geht, wie sie niemand auf den Tod der Mutter anspricht und er trotzdem immer gegenwärtig ist, wie sie sich trotz ihrer tiefen Trauer verliebt und wie sie – schneller als erwartet – erwachsen wird und werden muss.

Keener hat einen leisen, eindringlichen Roman geschrieben, dessen Kraft sich erst nach und nach entfaltet. Eine Coming-of-Age-Geschichte, die auch nach dem Lesen noch nachhallt. Einziger möglicher Kritikpunkt wäre, dass ich gerne noch mehr erfahren hätte: über Sarahs Brüder, weitere Familienmitglieder, Freunde. Diese Figuren im jüdischen wohlhabenden Umfeld der 70er Jahre geben Stoff für viele weitere Geschichten. Hoffen wir, dass wir auf mehr von Keener nicht noch einmal 18 Jahre warten müssen.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 21.01.2014
  • Verlag : Beck
  • ISBN: 978-3-406-65939-3
  • Flexibler Einband: 332 Seiten

3 Gedanken zu “Ins Leben schwimmen

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