Grenzgänge

Sáenz_CoverEin magischer Ort muss er sein, der Kentucky Club in Juarez. Beginn und Ende vieler Geschichten werden ihm zugeschrieben. Prominente Besucher hat(te) er zuhauf. Endlich haben auch wir Leser eine Einladung bekommen, die man nicht ausschlagen sollte. Benjamin Alire Saenz, amerikanischer Lyriker und Romanautor, preisgekrönt, mit mexikanischen Wurzeln, hat sie uns geschickt: In Form von sieben wunderbar atmosphärischen und dichten Erzählungen über das Leben, die Liebe, den Tod, die Freude, den Anfang und das Ende. Zentraler Punkt neben dem magischen Kentucky Club sind die Grenzen, die wir in unserem Leben immer wieder passieren müssen oder möchten.

Trotz der Schattenseiten, die Saenz immer wieder ausleuchtet – direkt, nah, unverstellt – fällt sein Blick auch immer wieder äußerst liebevoll auf das Menschliche in uns allen. Offensichtlich hat er die Magie des Ortes in sich aufgenommen und in seinen Schreibstil übersetzt. Wie sonst wäre er in der Lage, unsere geheimsten Gefühle, Ängste und Wünsche so zart ans Licht zu bringen, ohne jemals in die Rolle des Voyeurs zu schlüpfen?

Ob Heranwachsender oder Erwachsener, ob männlichen oder weiblichen Geschlechts – diese Unterschiede sind hier letztlich gleichgültig, denn Saenz legt genau das frei, was uns verbindet und was wir alle sind: Menschen. Wir suchen nach Kontakt, bekämpfen unsere Dämonen, streben nach Anerkennung und Respekt und fürchten uns vor Zurückweisung und davor, unsichtbar zu werden. Auch wenn es Lebenssituationen gibt, in denen wir uns nichts sehnlicher wünschen, als zu verschwinden.

„ … Wenn ich ganz still im Bett lag, dann würde ich mich vielleicht langsam auflösen wie Eis in einem Glas Wasser. Schmelzen, verdampfen, zerfließen. Einfach verschwinden. …“

Grenzübergänge sind es, die wir dann meistern müssen und Gründe dafür gibt es viele.

Einige davon zeigt uns Saenz trotz der Brutalität und Härte, die sie ausgelöst haben immer auf seine ganz eigene zarte Art und Weise. Es ist eine Errungenschaft, die schweren Zeiten des Lebens ohne Verbitterung und Hass zu meistern. Der Lohn dafür ist die Menschlichkeit, die sich einstellt. Das Gefühl, nicht alleine zu sein, verstanden zu werden.

Wie Saenz es schafft, jede seiner Erzählungen so zu konzipieren, so für uns zu weben, dass deren Ende wie das Erwachen aus tiefster Konzentration anmutet – das entzieht sich mir. Aber letztlich ist das gleichgültig, denn die Erzählungen hallen nach, die Protagonisten tauchen immer wieder vor dem geistigen Auge auf. Fast sehe ich mich am Tresen des Clubs sitzen, in dem Marilyn Monroe ihre Scheidung von Arthur Miller feierte, einen kühlen Drink vor mir und die Worte Saenz‘ im Ohr. Ich lasse mich entführen in eine Welt, die mir durch ihn nun nicht mehr fremd ist.

Alleine schon durch die Verortung der Geschichten nach El Paso / Juarez – zwei Orte, die durch eine Staatsgrenze getrennt dennoch eine starke Verbindung haben und trotzdem nicht unterschiedlicher sein könnten – wird das Thema des Grenzganges deutlich.

Auch wenn man sonst einen Bogen um Erzählungen oder shortstories macht, sollte man diese nicht links liegen lassen, sind sie doch in ihrer Vielschichtigkeit meisterhaft erzählt und muten an wie kleine Kurzromane. Magische Schätzchen, die gehoben werden sollten.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: September 2014
  • Verlag: Ripperger&Kremers
  • ISBN: 978-3-943999-15-0
  • Gebunden mit SU: 237 Seiten

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